Gebrochene Herzen waren gestern – heute kommentieren TikTok-Nutzer:innen traurige Inhalte mit Verwelkten Blumen. Und wer lacht, reagiert nicht mehr mit (Vor-Lachen-Weinen-Emoji), sondern mit demStuhl oder sogar derSeilbahn. Die Emojis wirken auf Außenstehende beliebig oder fehlplatziert – sind aber bewusst gewählt. Es geht um Zugehörigkeit, Ironie und kreative Abgrenzung – so beschreibt es Emojipedia, ein Online-Nachschlagewerk für die Bedeutung, Geschichte und Verwendung von Emojis. Der Blog analysiert, wie sich Symbole im digitalen Alltag verändern – und sieht in der bewussten Zweckentfremdung durch Gen Z eine Art „Badge of Honor“: ein kulturelles Erkennungszeichen für Insider, das gleichzeitig spielerisch und strategisch funktioniert.
Digitale Codierung als Reaktion auf Dauerverfügbarkeit
Dass Gen Z besonders empfänglich für solche digitalen Insider Codes ist, lässt sich auch kritisch betrachten: Eine aktuelle YouGov-Studie in Kooperation mit der Hochschule Macromedia zeigt, dass junge Nutzer:innen in Deutschland überdurchschnittlich häufig von Social-Media-Sucht betroffen sind. In dieser dauervernetzten Umgebung entstehen kreative Formen der Selbstverortung – doch oft auch aus dem Druck heraus, sichtbar, anschlussfähig und „on trend“ zu bleiben.
Immer online?
Gen Z und Millennials von Social-Media-Sucht besonders betroffen
Die Umdeutung gängiger Emojis wie oder in oder erfüllt gleich mehrere Funktionen: Sie dient der Distinktion gegenüber älteren Generationen und Marken, dem Aufbau von Gemeinschaft und als ironisches Kommentar zur eigenen digitalen Realität.
Der Social-Media-Experte Matt Navarra bezeichnet dieses Verhalten als „postironic twist“ – also eine Mischung aus Scherz, Subversion und kultureller Codierung. Der Emojitausch sei demnach teils spielerischer Streich, teils bewusst gesetzter Gegenentwurf zur üblichen Online-Kommunikation.
TikTok als Motor für die Emoji-Transformation
Die Seilbahn als Running Gag
Das -Emoji – offiziell Aerial Tramway – war einst eines der am seltensten genutzten Emojis im Unicode Set. Genau das machte es 2025 plötzlich zum Star: In einem Video bezeichnete John Casterline das Symbol als „das am wenigsten verwendete Emoji der Welt“. Die Datenlage – Tweets aus dem Jahr 2018, gestützt auf die inzwischen inaktive Website emojitracker.com – ist fragwürdig, spielte für die virale Dynamik des Trends aber kaum eine Rolle.
Binnen drei Wochen nach dem Upload wurde Casterlines Video über sechs Millionen Mal aufgerufen – der sprunghafte Anstieg der Emoji-Nutzung blieb auch in den Medien nicht unbeachtet.
LETS MAKE HISTORY!!! , © John Casterline
In den Wochen nach dem Video fluteten Nutzer:innen TikTok mit -Kommentaren, meist in ironischem Kontext – etwa als Reaktion auf etwas besonders „lustiges“ oder „verrücktes“.
ride high in the sky lil guy
— alexandra (@bigmoodenergy) November 12, 2018
Die Bedeutung: eigentlich keine. Und genau das ist der Punkt.
steht symbolisch für den postironischen Humor der Plattform: etwas vollkommen Banales wird bedeutungsschwer inszeniert – und gewinnt durch Kontext an emotionaler Aufladung.
Verwahrloste Blume statt gebrochenes Herz
Das Emoji – eine verwelkte, nach unten hängende rote Rose – wurde ursprünglich kaum genutzt und stand in der offiziellen Unicode-Beschreibung eher für das Ende von etwas oder symbolische Melancholie. Doch auf TikTok entwickelte es sich spätestens seit Anfang 2025 zum ironischen Ersatz für .
Während für einige inzwischen zu direkt, zu mainstream oder zu dramatisch ist, bringt für sie die passende subtilere Traurigkeit mit. Die stilisierte Blume wirkt dabei gleichzeitig poetisch und resigniert – und eignet sich perfekt für die postironische Ästhetik vieler TikTok-Kommentare.
Auch in TikTok-Nischen wie JuggTok zirkulieren Phrasen wie „ is out – we use now“. Wer die Bedeutung kennt, gehört dazu. Wer sie nicht versteht, bleibt außen vor. Ironie wird zur Eintrittskarte in die Community.
Der Stuhl, der zum Lachen bringt
Was hat ein Stuhl mit Humor zu tun? Viel – zumindest auf TikTok. Das Emoji wurde 2021 vom Creator Anthony Mai als ironischer Ersatz für eingeführt. Seine Community wurde dazu aufgerufen, Videos des YouTubers KSI nicht wie üblich mit dem Klassiker „Lach-Smiley“ zu kommentieren, sondern mit – einfach, weil es absurd ist.
Ursprung des Chair Emojis, © Anthony Mai
Die Idee: Emojis so zweckentfremden, dass Außenstehende die Bedeutung nicht sofort entschlüsseln können. Der Witz liegt im Insider-Wissen – wer lacht, aber nicht mit reagiert, signalisiert: „Ich bin Teil der Plattformkultur, nicht des Mainstreams.“
Was als Gag begann, wurde zu einem festen Meme-Symbol – inklusive eigener TikTok-Sprache: „It’s so funny, I’m chairing“.
Zwischen Relevanz und Cringe: Was das für Marken bedeutet
Für Markenkommunikation ergibt sich daraus ein Spannungsfeld: Wer solche Trends ignoriert, riskiert Anschlussverlust. Wer sie ohne Kontext adaptiert, wirkt schnell unglaubwürdig. Die Lösung liegt dazwischen: Zuhören, beobachten und sensibel agieren statt blind zu imitieren.
Emojis sind längst mehr als simple Reaktionen – sie sind Träger:innen von Bedeutungsverschiebungen, die sich ständig wandeln. Was ein Symbol ausdrückt, entscheidet nicht seine ursprüngliche Definition, sondern der soziale Kontext.
Gerade auf Plattformen wie TikTok zeigt sich: Die Community bestimmt, was ein Emoji bedeutet – und wann es seine Bedeutung verliert oder neu auflädt. Wer als Marke aufmerksam zuhört, statt nur zu senden, erkennt diese feinen Codes früh – und kann sie glaubwürdig in die eigene Kommunikation übersetzen.
Von „Face with Bags Under Eyes“ bis Sark:
Was Apples neue Emojis über unsere digitale Kultur verraten
Ironie als Ausdruck von Kontrolle
Denn wer die Sprache der Symbole versteht, versteht nicht nur die Kultur – sondern auch, wann sie gerade neu geschrieben wird. Ob für Traurigkeit, für Lachen oder als Running Gag: Diese Zeichen sind Teil eines kulturellen Codes, der Zugehörigkeit, Ironie und Abgrenzung zugleich kommuniziert.
Für Marken bedeutet das: Digitale Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Wer relevante Bedeutungsverschiebungen erkennt, kann näher an Zielgruppen rücken, echte Anschlussfähigkeit schaffen – und im besten Fall zur Love Brand avancieren. Nicht jede:r muss die posten, aber wer das Emoji und dessen aktuelle Nutzung versteht, spricht die Sprache einer Generation, die sich über subtile Codes oft stärker definiert als über klare Statements.