Wir sind im Superwahljahr 2024 und zugleich in einem Jahr, in dem die Entwicklung generativer KI sich geradezu überschlägt. Erst diese Woche hat OpenAI mit GPT-4o ein neues multimodal operierendes KI-Modell mit aufsehenerregenden Fähigkeiten vorgestellt. Kurz darauf lieferte Google ein Riesen-Update für Gemini, die AI Overviews in der Standardsuche und beispielsweise das Projekt Astra, das bei der I/O als „die Zukunft der KI-Assistenz“ bezeichnet wurde und die Fähigkeiten von Gemini erweitert, um Gespräche natürlicher wirken zu lassen und schneller auf Informationen zu reagieren. Zudem werden xAIs Grok und Anthropics KI-Chatbot Claude jetzt in Europa zur Verfügung gestellt.
Die KI-Assistants werden immer leistungsfähiger, intelligenter und sollen möglichst menschenähnlich handeln. Doch wie würden sie wählen? Dieser Frage ist der Social-Media-Experte Felix Beilharz nachgegangen und hat diverse KI-Chatbots den Wahl-O-Mat zur Europawahl (am 9. Juni in Deutschland) durchlaufen lassen. Die Ergebnisse zeigen eine klare Tendenz – die sich verschiedentlich erklären lässt.
OpenAI launcht GPT-4o für alle User, GPTs für Free User und bessere AI-Voice-Optionen
Wie Meta AI, ChatGPT, Gemini und Co. wählen – linkspolitische Inhalte im Fokus der KI-Tools
Sieben KI-Tools hat Beilharz die 38 Fragen des Wahl-O-Mats gestellt und dabei klare Tendenzen in Bezug auf die Parteiauswahl feststellen können. Er nutzte dabei die folgenden Tools, auf die er Zugriff hat:
ChatGPT
Gemini (Google)
Claude (mit Claude 3 im Hintergrund)
Perplexity
Meta AI
Microsoft Copilot
Grok (mit X Premium)
Auf seiner Website erklärt der Experte, dass ChatGPT und Claude fast makellos die Aufgabenstellung zur Fragebeantwortung befolgt haben. Meta AI und Perplexity wiederum mussten an die Aufgabe erinnert werden, um nicht in Meinungen abzudriften. Grok war in seinem Experiment jedoch unbrauchbar, lieferte nur Sachinformationen und auf das Drängen des Experten hin nur noch die Antwort „neutral“ auf alle Fragen des Wahl-O-Mats. Felix Beilharz schreibt:
[…] Die meisten KIs sind sehr auf Ausgewogenheit bedacht. Selbst wenn sie zustimmen oder ablehnen, listen sie Pro und Contra-Argumente auf und betonen, wie komplex die Sachlage und wie schwierig eine Antwort sei. Nur in einem sind sich alle einig: Die AfD ist auf dem letzten Platz. Mit großem Abstand.
Alle Tools tendieren dazu, linkspolitisch ausgerichtete Parteien zu bevorzugen. Etwa Bündnis90/Die Grünen, Volt, die Piratenpartei und die Tierschutzpartei.
In der Gesamtübersicht liegen Die Grünen ganz vorn, die CDU/CSU und FDP liegen fast ganz hinten, vor der AfD. Die Ergebnisse präsentiert Beilharz in einem ausführlichen LinkedIn Post.
Wie lassen sich diese Ergebnisse erklären?
Schaut man auf aktuelle Wahltrends aus Deutschland zur Europawahl, zeigt sich ein ganz anderes Bild, was die favorisierten Parteien angeht. Die Piratenpartei und Volt würden kaum Beachtung finden, die CDU/CSU wäre Spitzenreiter:in.
Doch die Orientierung der KI-Tools ist different. Dafür findet Felix Beilharz in seiner Analyse jedoch Gründe. Zum einen entstammen viele der Tools dem Silicon Valley, einer vergleichsweise liberal eingestellten Region in den USA, so der Experte. Zum anderen müsse man auf die Trainingsdaten Bezug nehmen; und die sind vielfach von Publikationen entnommen, welche in der Summe womöglich eher liberal als rechtspolitisch oder stark konservativ sein könnten. Ohne konkreten Einblick in die Trainingsdaten ist das aber kaum abzuleiten. OpenAI hat beispielsweise inzwischen Lizenzierungs-Deals mit Axel Springer, der Financial Times, Le Monde und anderen Publikationen abgeschlossen. Während etwa Le Monde eher als linksliberal gilt, kann man Publikationen von Axel Springer mitunter sehr konservative politische Berichterstattung zuschreiben.
Letztlich müssen aber auch die Wahlprogramme betrachtet werden. Diese haben gerade bei rechtspolitisch ausgerichteten Parteien wie der AfD weniger Faktengrundlagen als bei anderen Parteien wie den Grünen, so Beilharz. Auch das könnte zur Entscheidung der rein analytisch gepolten KI-Tools beigetragen haben.
Keine Wahlempfehlung der KI, nur ein Experiment
Der LinkedIn Post von Beilharz sorgt inzwischen für Aufsehen, hat schon fast 2.400 Likes erhalten und hunderte Kommentare. Darin wird heiß über die Ergebnisse diskutiert – lies doch einmal rein. Auch wird darin erwähnt, dass diese Analyse keineswegs eine Wahlempfehlung oder politische Beratung darstellen könne. Das ist auch nicht die Absicht des Experten gewesen, es geht ihm um ein Experiment für den Einsatz von KI in gesamtgesellschaftlichen Kontexten. Diese Veröffentlichung von Beilharz kann auch als Hinweis verstanden werden, sich bei so gewichtigen Entscheidungen nicht auf die Aussagen oder gar Meinungen von KI-Tools zu verlassen. Zur Recherche von Wahlprogrammen und dergleichen taugen sie indes.
Wer sich seiner eigenen Wahltendenz noch unsicher ist, kann den Wahl-O-Mat einfach selbst nutzen – oder die ausführlichen Wahlprogramme der Parteien lesen. Die Parteien sind inzwischen auch vielfach auf Social Media vertreten und zeigen dort, wofür sie stehen.
Das Ergebnis soll keine Wahlempfehlung für die Europawahl sein, sondern kann Anhaltspunkte geben und helfen, sich genauer über die einzelnen zur Wahl stehenden Parteien zu informieren.
An der #HHU steht der Wahl-O-Mat aufgrund zahlreicher Forschung besonders im Fokus.
^lb/dw 2/2
— Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (@HHU_de) May 16, 2024
Alle Ergebnisse der Analyse findest du im Detail auf der Website von Felix Beilharz.