Schlechte Nachrichten für X – schon wieder. Die Plattform, die sich als Everything App etablieren und vom Kurznachrichtendienstprädikat Twitters entfernen möchte, muss mit einem immensen Einbruch der Werbeeinnahmen im Jahr 2023 zurechtkommen. X verdient laut dem Wall Street Journal insgesamt nur noch knapp halb so viel wie im Jahr vor der Übernahme durch Elon Musk. Nun bestätigt ein Bericht von Bloomberg, dass die Ad-Einnahmen 2023 rund 2,5 Milliarden US-Dollar betragen sollen – was deutlich unter den Umsatzzahlen der Vorjahre liegt. Die Gründe für diese Entwicklung sind nicht zuletzt die besonders aggressive Content-Politik sowie fragwürdige Kommunikation des Unternehmens. Den Rückgang der Werbeeinnahmen möchte X künftig durch hohe Abonnementeinnahmen für Zugänge zum AI Bot Grok und Co. kompensieren. Doch hochfunktionale KI-Bots bieten auch andere Plattformen; und mit Threads bietet Meta eine Konkurrenzplattform, die sehr bald auch in Europa für weniger X-Zugriffe sorgen könnte.
X feiert sich selbst und verliert zahlreiche Advertiser
Seitdem Elon Musk Twitter im Herbst 2022 übernommen hat, geht es für die Plattform – die im Sommer 2023 in X umbenannt wurde – bergab. Im ersten Jahr seit der Übernahme hat X laut Similarweb insgesamt einen 14-prozentigen Traffic-Rückgang erlebt. Und schon im Mai dieses Jahres wurde in einer Schätzung des Finanzunternehmen Fidelity ermittelt, das X (zu der Zeit noch Twitter) nur noch rund ein Drittel des Werts inne hatte, für den Musk die Plattform übernommen hatte. Der Wert der Plattform sinkt und das hängt auch mit einem Verlust der Advertiser zusammen, der sich seit mehreren Monaten stetig weiterentwickelt. Das macht sich inzwischen auch finanziell bemerkbar.
Laut Bloomberg konnte X in den ersten drei Quartalen 2023 nur rund 600 Millionen US-Dollar mit Werbung einnehmen und erwartet auch für das vierte Quartal eine ähnliche Performance. Martin Holland berichtet für Heise, dass es im Jahr 2022 aber noch 4,7 Milliarden US-Dollar und damit mehr als eine Milliarde pro Quartal an Werbeeinkünften gegeben hatte – und das 2021 für das Jahr 2023 einmal 7,5 Milliarden US-Dollar Umsatz angepeilt worden waren.
Der Verlust der Advertiser und Einnahmen hat verschiedene Gründe. Zum einen sehen viele Marken in der inzwischen deutlich diversifizierteren Plattform mit ihren Video-Calls, dem häufigen Hin und Her bei Features sowie diversen Abonnement-Stufen weniger Relevanz für das Branding als zuvor.
X plant neue Abopreise und versucht das Werbegeschäft zu retten
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Zum anderen trägt aber auch nicht unwesentlich dazu bei, dass X unter Elon Musk und Linda Yaccarino, die seine Rolle als CEO übernahm, zu einem toxischen Ort für User und Marken geworden ist. Das Unternehmen moderiert Content kaum und billigt mit neuen Richtlinien Hate Speech – unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit. Sogar das Bundesamt für Justiz warf Twitter vor Monaten ein Versagen im Umgang mit Hate Speech vor. Elon Musk lässt einst verbannte User, die sich misogyn, gewaltverherrlichend oder antisemitisch geäußert hatten, wieder auf die Plattform. Vor diesem Hintergrund wirkt es beinahe ironisch, wenn Musk und Yaccarino die eigene Plattform für ihre Free-Speech-Prinzipien preisen.
We are thrilled to keep shining a spotlight on the remarkable organizations worldwide that are making a significant impact through their vital work. https://t.co/gW3a6UVg68
— Linda Yaccarino (@lindayaX) December 12, 2023
Denn Werbekund:innen meiden das teils hostile Umfeld mehr und mehr.
Abgang von X: Große Marken kehren der Plattform den Rücken
Erst kürzlich unterrichtete Marc Opelt als Vorsitzender des Bereichsvorstands OTTO auf LinkedIn die User darüber, dass OTTO X verlassen und damit Unternehmen wie REWE und ALDI Nord folgen werde.
Werbekund:innen bleiben nicht nur in Deutschland fern und wenden sich teilweise ganz von der Plattform ab. Global kam es jüngst zu einem Werbeboykott, weil Ads auf X in äußerst unseriösen Kontexten, etwa neben antisemitischen Inhalten, die nicht moderiert worden waren, ausgespielt wurden. Disney, Apple, IBM und Co. stoppten ihre Ads. Dies war ein weiteres Beispiel für fragwürdige Werbeplatzierungen, denn schon vor wenigen Monaten hatten sich User über einige Anzeigen im Following Feed beschwert, die ohne Markierung ausgespielt wurden. Zudem berichtete Mashable vor einigen Monaten von Ads, die User gemeldet hatten, welche ohne Markierung mit Clickbait-Texten auf Websites Dritter weiterleiteten. Diese zeigten nur ein Bild und eine Headline, wurden aber nicht als Ads kenntlich gemacht.
Auf den Aufruhr unter den Werbetreibenden reagiert Plattformeigner Elon Musk im vergangenen Monat dann unprofessionell und gar beleidigend:
Don’t advertise. […] If somebody’s going to try to blackmail me with advertising, blackmail me with money? Go fuck yourself. […] Go. Fuck. Yourself. Is that clear?
Er warf den Advertisern vor, das Unternehmen zerstören zu wollen. Daraufhin setzten weitere Unternehmen ihre Werbung aus, viele verlassen die Plattform, die ihnen und ihrer Marke keine Sicherheit mehr bieten kann und möchte.
Abonnementeinnahmen als Gegengewicht?
X muss sich demnach wohl langfristig von einem lukrativen Werbegeschäft verabschieden. Allerdings möchte das Unternehmen den Umsatz künftig insbesondere auch mit verschiedenen Abonnementmodellen ankurbeln. Vor allem das neue Modell Premium+ soll für viel Umsatz sorgen. Es kostet 16,99 US-Dollar pro Monat und verspricht neben Exklusiv-Features auch Werbefreiheit und die Option, auf den neuen AI Bot Grok zuzugreifen, der derzeit in den USA für zahlende User ausgerollt wird.
Nach Informationen der New York Post, die sich auf On The Money beziehen, generiert X inzwischen fast ein Viertel der Einkünfte über Abonnements und Datenlizenzierungs-Deals. Auf der Plattform sind mehr User als je zuvor aktiv, doch solange Musk und Co. diese nicht monetarisieren können, droht X als Plattform langfristig zu scheitern. Und die Konkurrenz schläft nicht. Die als Twitter Killer bezeichnete Text-App Threads von Meta schickt sich an, die Funktionen des alten Twitter zu bieten, hat sich aber global noch nicht als großer Player etabliert. Allerdings könnte die App einen großen Popularitäts- und Nutzungs-Boost erhalten, sollte sie tatsächlich am 14. Dezember auch in Europa starten.
14. Dezember?
EU-Start von Threads naht womöglich
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